Erfolg - drei Jahre Geschichte einer Provinz by Aufbau
Autor:Aufbau [Aufbau]
Die sprache: deu
Format: epub
veröffentlicht: 2014-10-09T16:00:00+00:00
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Konsultation in Gegenwart eines Unsichtbaren
Johanna, nach München zurückgekehrt, ging auf und ab in ihrem groÃen Zimmer zwischen hellen, hübschen Wänden, stattlichen Möbeln, geordneten Büchergestellen, zwischen der Apparatur ihres graphologischen Betriebs, dem umfangreichen Schreibtisch, der Schreibmaschine. Unter ihren Fenstern, jenseits des Kais, floà hellgrün, fröhlich die Isar.
Sie hielt sich fern von ihren Münchner Bekannten, arbeitete. Dr. Geyer war auf einige Tage nach Norddeutschland gefahren, nach Berlin, nach Leipzig; man erwartete ihn erst für den Anfang der nächsten Woche zurück. Gut tat das, jetzt allein zu sein. Sie fühlte sich in besonderem MaÃe zurückgekehrt. Das mit den gesellschaftlichen Beziehungen war eine faule Sache gewesen, sie hätte sich da nicht hineinbegeben sollen. Es begann mit Hessreiter und führte schlieÃlich noch zu dem Windigen. Nein, dieser brackige, laue Betrieb paÃte ihr nicht, sie konnte da nicht atmen. War sie nicht während der ganzen Zeit mit Hessreiter in einer Art Betäubung herumgegangen, in seltsamer Benommenheit? Jetzt war sie wieder in der reinen Tagesluft. Sie knackte mit den Fingern, vergnügt, lächelte, hatte eine Mordslust zu arbeiten. Aufträge waren in Menge da, für drei Monate, wenn sie wollte.
Noch waren ihre Nägel mondförmig; doch die Arbeit lieà ihr nicht die Zeit, sie wie in Frankreich zu pflegen. Die Schreibmaschine griff Nagel und Haut an; der mit so viel Mühe hergestellte blasse, milchige Glanz verlor sich, die feine Haut an der Nagelwurzel wurde rauh. Während ihres Lebens in der Gesellschaft hatte sie sich angewöhnt, Konversation zu machen, rasch, wenn auch nicht eben tief zu antworten. Jetzt fiel sie in ihre alte Gepflogenheit zurück, oft nach langer Pause erst zu erwidern, unvermittelt auf Altes zurückzukommen, da anzusetzen, wo man eine halbe Stunde früher aufgehört hatte, als hätte sie diese halbe Stunde nicht zugehört. Auch in ihrer Tracht wurde sie die frühere Johanna; denn die modischen Kleider, die sie aus Frankreich mitbrachte, fielen in der durch weite Schichten ländlich eingestellten Stadt unangenehm auf.
Sie arbeitete. Früher hatte sie auf Intuition gewartet. Der gefährliche, süÃe und schmerzhafte Moment blitzhaft gesicherter Erkenntnis war Lohn und Gipfel ihrer Arbeit gewesen. Jetzt war, was sie machte, mühsamer, weniger blendend, doch ehrlicher. Sie fand ihren Blick auf Menschen weiter geworden.
Sechs Tage lebte sie so in München, arbeitend, das Haus kaum verlassend, befriedigt. Schlief gut. In der siebenten Nacht erkannte sie, daà solches Leben nur ein aussichtsloser Umweg war, Flucht vor einem Gesicht, und sie hatte Furcht vor ihrem Schicksal.
Sie rief, es war wie eine Abschlagszahlung an einen unsichtbaren Mahner, wieder im Büro des Anwalts an. Ja, er war soeben zurückgekehrt. Ungewohnt beflissen, fast erfreut, sagte er ihr schon für die nächste Stunde eine Unterredung zu.
Dr. Geyer hatte jetzt seine Praxis im ganzen Umfang wieder aufgenommen. Er führte viele Prozesse, scharfe Prozesse, verdiente Geld, ausländisches, vollwertiges. War er von jeher ein unermüdlicher Arbeiter gewesen, so schüttelte man jetzt in seinem Büro die Köpfe über die zahllosen, groÃen Prozesse, die er übernahm. Die Haushälterin Agnes verzehrte sich, machtlos erbittert. Sie wuÃte auf die Stunde genau, wann dieser wüste Betrieb begonnen hatte. Es war gewesen, als der junge Mensch da war, der Floh, der Blutaussauger, der Geldquetscher.
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